Kindheit damals
Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, fällt mir immer wieder ein, dass ich wochenlang im Wald an einem Bach, bei einem Erdrutschhang mit meinen Freunden spielte, herumkletterte, fleißig organisierte und auch stritt. Wir waren, an diesem für uns magischen Ort, Forscher und Entdecker. Wir verwirklichten all unsere Ideen und forderten uns selbst heraus. Unsere Eltern waren zwar verwundert, über unsere matschige und manchmal zerrissene Kleidung und unsere Schürfwunden an Armen und Beinen, aber sie sahen auch das Feuer in unseren Augen, dass uns am nächsten Tag, nach der Schule, wieder zum Spiel dorthin drängte. Dass sich unsere Eltern unseren Spielort nicht ansahen, verwundert noch heute.
Kindheit heute
Sauber angezogene Kinder sitzen in ordentlich gehaltenen Wohnungen an Tabletts oder Handys und bewegen gerade mal ihre Hände, wenn sie über den Bildschirm wischen. Die besorgten Eltern reagieren auf jegliches Zeichen des Sprösslings und erfüllen die Wünsche möglichst sofort, um Unmut des Kindes zu vermeiden und ihm alles zu ermöglichen was sie sich leisten können.
Diese Szene ist vermutlich leicht überzeichnet, doch so manches davon auch wahr.
Eine Studie belegt, dass der Anteil jener Kinder zwischen 6 und 13 Jahren, die regelmäßig draußen spielen, deutlich zurück ging: von 73 Prozent 1990, auf 46 Prozent 2004 und 21 Prozent 2009. 2018 gaben nur noch 18 Prozent der Schulkinder an, dass sie (fast) täglich im Freien spielen.*
Parallel dazu, treten Konzentrationsprobleme, Legasthenie, Dyskalkulie, ADHS, Entwicklungsverzögerungen, psychische Probleme etc. immer häufiger auf. In den letzten 10 Jahren ist die Einnahme von Ritalin (Medikament zur Behandlung von ADHS) in Österreich um das 25fache gestiegen (in Deutschland sogar um das 50fache).
Schon erschreckend, oder? Besteht hier ein Zusammenhang? Klares ja, seitens der Evolutionspädagogik.
Das freies Spiel ohne Anleitung und Ablenkung ist das Elixier für eine gesunde und erfüllte Kindheit. Gerade das Spiel im Freien, auf Wiesen und in Wäldern, ohne ständiger Beaufsichtigung, aber mit Freunden, ist so wichtig für das individuelle Wachsen und den Stressabbau der Kinder. Soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit, Selbstverwirklichung und an seine Grenzen gehen, Risiken abschätzen und Spaß an der Herausforderung entdecken, Probleme selbst lösen und stolz auf sich sein, an Herausforderungen wachsen und sich weiterentwickeln wollen, körperliche Fähigkeiten entdecken und trainieren, Kreativität und Intelligenz auf die Probe stellen, all das und noch viel mehr, lässt unsere Kinder besser, klüger und mutiger werden. Und auch, wenn mal etwas daneben geht, „Hinfallen, Aufstehen, Krone richten!“, sind wichtige Lernschritte für das zukünftige Leben. Wer als Kind nie „hinfallen“ durfte, hat meist als Erwachsener große Ängste vor dem Scheitern.
Ich hatte das Glück, eine unbeschwerte Spielzeit in meiner Kindheit zu erleben, die mich prägte und lehrte und mich mitunter zu der machte, die ich heute bin. Dies ermöglichte mir wohl der Zeitmangel meiner Eltern und ihr unendliches Vertrauen in mich und an das Leben.
Denk daran, all deine prägenden Erlebnisse und Erfahrungen, egal ob positive oder negative, haben dich zu der/dem wachsen lassen, die/der du heute bist. Wäre nur eines deiner bedeutenden Erlebnisse nicht dabei gewesen, dann wärst du heute vielleicht ein ganz anderer Mensch und nie so weit gekommen.
Ein Beitrag von Evolutionspädagogin Ursula Wechsler
*(Daniela Grießer: „Studie: So viel Zeit verbringen Kinder vor dem Bildschirm“ https://www.familiii.at/studie-so-viel-zeit-verbringen-kinder-vor-dem-bildschirm/)